Abgebildet ist eine Interview-Situation. Zwei Personen sitzen sich gegenüber auf Sesseln, die eine Person gestikuliert und scheint zu erzählen, die andere hat einen Notizblock vor sich und scheint zu zuhören.

Forschungsthemen.

Parallel zum Austausch von Perspektiven in der Dialogwerkstatt forscht unser Projektteam zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Zwei Fragen stehen dabei im Fokus:

Wie bilden sich Menschen eine Meinung zu Schwangerschaftsabbrüchen?

  • Wir wollen herausfinden, wie der Meinungsbildungsprozess zu Schwangerschaftsabbrüchen funktioniert und ob sich die Einstellung verändert, wenn Informationen über bestimmte Lebenssituationen der schwangeren Person bekannt werden. Die Lebenssituationen werden mit verschiedenen Fallbeispielen (sog. Vignetten) erläutert. Durch das Abfragen der Reaktion auf diese Fallbeispiele können wir ablesen, ob ein gewisses Maß an (situativen) Informationen in Zusammenhang mit der persönlichen Einstellung zu Schwangerschaftsabbrüchen steht. Über das schrittweise Hinzugeben von Informationen mithilfe von Fallbeispielen kann nicht nur die Meinung der Befragten kontextualisiert werden. Ebenso kann ermittelt werden, welche konkreten Punkte die Bewertung der Befragten verändern.

    Mit diesem differenzierten Vorgehen schließen wir eine Forschungslücke. Denn im Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt es unseres Wissens bis dato wenig Arbeiten mit Fallbeispielen.

  • Diese Frage erforschen wir mit einer quantitativen Methode, konkret mit einer Umfrage (survey). Quantitative Forschung zeichnet sich grundsätzlich durch ein standardisiertes Vorgehen und einen Anspruch auf Vergleichbarkeit aus. Sie dient vor allem der Überprüfung von Thesen. In der Anwendung dieser quantitativen Methode gehen wir wie folgt vor: Zunächst definieren wir mithilfe der ALLBUS-Auswertung
    (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) eine Personengruppe, die statistisch gesehen am ehesten ablehnend gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen eingestellt ist.

    Wir möchten herausfinden, ob Menschen mit kritischer Einstellung zu Schwangerschaftsabbrüchen ihre grundsätzliche Haltung ändern, wenn sie weitere Informationen zu einem spezifischen Fall erhalten. Möglicherweise gibt es durchaus Situationen, in denen diese Menschen einen Schwangerschaftsabbruch für nachvollziehbar halten. 300 Menschen dieser Personengruppe werden mittels der sogenannten CATI-Befragung (Computer Assisted Telephone Interviews) kontaktiert. Sie antworten auf einen standardisierten Fragenkatalog: Sollen Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland weiterhin über das Strafgesetzbuch geregelt werden? Und: Können Sie persönlich nachvollziehen, dass sich jemand für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet?

    Diese Personengruppe wird wiederum in drei Untergruppen aufgeteilt. Der Fragekatalog führt dann pro Untergruppe jeweils ein Fallbeispiel an: Wie beurteilen Sie die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch, wenn die schwangere Person beispielsweise in ihrer Beziehung Partnergewalt erlebt? Abschließend werden Fragen zum Familienstand und zur Religiosität gestellt.

    Warum entscheiden wir uns für die Befragung von Menschen mit eher ablehnender Haltung? Seriöse Forschung zu Einstellungsänderungen kann nicht nach fiktiven Bedingungen fragen. Eine ähnliche Befragung wäre mit Befürworter*innen eines Schwangerschaftsabbruchs nicht im selben Maße umsetzbar. Stellen wir uns vor, finanzieller Druck wäre ein möglicher Faktor, der die eher zustimmende Meinung der Befragten zu Abbrüchen verändern könnte. Dann müssten wir eine fiktive Person oder eine nicht existierende, staatliche Hilfe-Maßnahme anführen, durch die bspw. alle anfallenden Kosten für ein mögliches Kind übernommen werden würden. Ebenso haben wir es in der von uns ausgewählten Personengruppe mit einer statistischen Verteilung einer ablehnenden Meinung zu tun. Das bedeutet, dass nicht jede Person dieser Gruppe eine ablehnende Haltung gegenüber Abbrüchen einnimmt.

    Die Befragungen wurden im November/Dezember 2023 durchgeführt.

  • Hier präsentieren wir erste Erkenntnisse aus unserer Forschung und formulieren Tendenzen. Konkrete Zahlen können wir Ihnen voraussichtlich 2025 vorstellen, wenn unsere Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sind.

    In der Forschung zur Meinungsbildung wurden insgesamt 302 Männer zwischen 41 und 98 Jahren aus westdeutschen Bundesländern telefonisch kontaktiert. Sie wurden durch eine Zufallsstichprobe aus Festnetztelefonnummern ausgewählt und in einem ca. 7-minütigen Interview zunächst zu ihren Einstellungen zu Gesellschaftspolitik und zum Schwangerschaftsabbruch befragt. Dann wurde ihre Haltung zum Abbruch anhand einer konkreten Fallgeschichte erfragt, bei der sie Stück für Stück mehr Informationen zur Situation der ungewollt schwangeren Person erhielten.

    Verändern konkrete Informationen eine skeptische Haltung gegenüber Abbrüchen?
    Wir konnten herausfinden: Ja. Mit dem Grad an Informationen zu Lebenssituation und Beweggründen einer ungewollt Schwangeren steigt die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung für einen Abbruch. Empathie scheint demnach ganz grundsätzliche eine Rolle beim Bilden von und potentiellen Verändern von Meinungen im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs zu spielen.

    Ein Beispiel: Ein Mann aus der befragten Gruppe spricht sich generell eher gegen Abbrüche aus. Er hört die Geschichte der fiktiven „Eva Schmidt“, die bereits drei Kinder hat und nun ungewollt schwanger ist. Die Entscheidung für einen Abbruch findet die befragte Person hier noch wenig nachvollziehbar. Dann wird ergänzt, dass Eva Schmidt finanzielle Sorgen hat. Diese Zusatzinformation beeinflusst die Haltung des Befragten, der die Entscheidung für einen Abbruch nun stärker nachvollziehen kann.

    Warum haben wir überhaupt Männer ab 41 Jahren aus Westdeutschland befragt? Das ist die Personengruppe, die der Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch statistisch gesehen am skeptischsten gegenübersteht. Woher wissen wir das? Das ergibt sich aus einer Auswertung der ALLBUS-Daten. Trotz dieser Skepsis zeigte sich in unserer Befragung auch: diese Gruppe ist nicht mehrheitlich dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Straftatbestand sind.

    Warum sind gerade Männer besonders skeptisch? Was das Geschlecht angeht, kann man nur spekulieren: Vermutlich haben Männer, die nicht schwanger werden können, weniger Interesse an einer Auseinandersetzung mit Abbrüchen. Weshalb aber sind Männer aus Westdeutschland besonders skeptisch? Das liegt laut vorheriger Forschung an der unterschiedlichen Sozialisierung in der BRD und DDR (siehe z.B. Banaszak LA: East-West differences in German abortion opinion. Public Opinion Quarterly 1998; 62: 545–582). So waren Schwangerschaftsabbrüche im Osten Deutschlands ab 1972 unter der sogenannten Fristenregelung möglich, konnte eine Schwangerschaft also ohne Angabe von Gründen innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate legal abgebrochen werden.

Was kann die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch beeinflussen?

  • Wir interessieren uns für Erfahrungen, die betroffene bzw. nahestehende Personen während der Entscheidungsfindung für oder gegen einen Abbruch machen. Welche Faktoren können die persönliche Entscheidung beeinflussen? Welche Rolle spielt dabei das soziale Umfeld und welche Auswirkung hat die Entscheidung auf das gegenwärtige Empfinden der Betroffenen?

    Durch qualitative Interviews wollen wir die bestehende Forschung zur Entscheidungsfindung im Kontext von Abbrüchen ergänzen. Der innovative Charakter unserer Interviewstudie besteht darin, dass sowohl die schwangere Person, als auch nahestehende Personen, die eng in die Entscheidungsfindung eingebunden waren, mit einbezogen werden. So können wir die Bedürfnisse aller beteiligten Personen in einer solchen Situation herausarbeiten. Unsere Ergebnisse können Politik und Praxis als Impuls für Verbesserungen dienen.

  • Mögliche Antworten auf diese Frage wollen wir mit der qualitativen Methode des Interviews finden. Qualitative Methoden dienen der Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit. Sie zeichnen sich durch eine Offenheit der Fragestellung und die Berücksichtigung des Kontextes aus. Konkret suchen wir über sog. semi-strukturierte Interviews das Gespräch mit ca. 20 Personen, die schon mal entscheiden mussten, ob eine Schwangerschaft abgebrochen oder ausgetragen wird. Ob sich für oder gegen einen Abbruch entschieden wurde, ist nicht relevant. Dabei suchen wir nicht nur das Gespräch mit Menschen, die schwanger waren. Im Entscheidungsprozess können ebenso nahestehende Personen wie Partner*innen maßgeblich eingebunden gewesen sein.

    Die Interviews fanden von Januar bis Mai 2024 statt.

  • Hier präsentieren wir erste Erkenntnisse aus unserer Forschung und formulieren Tendenzen. Konkrete Zahlen können wir Ihnen voraussichtlich 2025 vorstellen, wenn unsere Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sind.

    Im Rahmen der Forschung zur Entscheidungsfindung haben wir mit insgesamt 20 Menschen gesprochen, die vor der Entscheidung für oder gegen das Austragen einer ungeplanten Schwangerschaft standen. Konkret waren 15 der interviewten Personen selbst betroffen und fünf von ihnen Freund*innen oder Partner*innen, die den Prozess begleiteten. Gesucht wurden die Teilnehmenden sowohl über den Instagram-Account der Dialogwerkstatt als auch das Netzwerk der Werkstatt-Teilnehmenden. Die Interviews wurden von Januar bis Mai 2024 sowohl digital als auch in Präsenz geführt.

    Die betroffenen Interview-Partnerinnen verstehen sich alle als Cis-Frauen, weshalb im Folgenden weiblich gegendert wird. Sie waren zum Zeitpunkt der besprochenen Schwangerschaft zwischen 19 und 41 Jahren alt. Fünf entschieden sich, die ungewollte Schwangerschaft auszutragen, während zehn einen Abbruch wählten. Sechs der 15 Betroffenen waren vor dem Abbruch bereits mindestens einmal schwanger, zwei von ihnen danach nochmal.

    In den Interviews, die im Schnitt 90 Minuten dauerten, konnte über einen erlebten Abbruch in Verbindung mit der eigenen Biographie gesprochen werden. Dabei wurde unter anderem thematisiert: Was hat die Entscheidung beeinflusst? Wie wurde die medizinische und beraterische Versorgung wahrgenommen? Was waren Herausforderungen, aber auch eigene und externe Ressourcen im Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch?

    In der Auswertung der Interviews haben wir uns aus Zeitgründen auf die schwangeren Personen konzentriert; die unten stehenden Fragen geben deshalb deren Perspektiven wider.

    Was beeinflusst den Entscheidungsprozess für oder gegen einen Abbruch?

    Hierauf gibt es keine einfache Antwort, denn eine Entscheidung wird nicht nur von äußeren bzw. strukturellen sondern auch von individuellen Gegebenheiten beeinflusst. Auf Basis unserer Interviews konnten wir vier Typen feststellen, die Entscheidungsprozesse und ihre eigene Handlungsfähigkeit dabei unterschiedlich erleben. Handlungsfähigkeit meint in dem Zusammenhang das Gefühl, selbstständig eine  Entscheidung zu treffen. Wenn sie dabei von ihrem Umfeld unterstützt wurden und die Entscheidung anerkannt wurde, hat das den Entscheidungsprozess erleichtert. Vereinfacht könnte man sagen, dass das unterschiedliche Erleben der Betroffenen auf unterschiedlichen Ressourcen und Herausforderungen basiert.

    Wichtig festzuhalten ist: Fast alle der interviewten Betroffenen stoßen im Prozess der Entscheidungsfindung auf Herausforderungen. Wie handlungsfähig sie im Umgang damit sind, hängt auch davon ab, auf welche strukturellen und individuellen Ressourcen sie bauen können. Wer stabiler aufgestellt ist (also z.B. finanziell abgesichert, psychisch stabil oder in einer unterstützenden Beziehung), kann diese Hürden leichter überwinden. Wer in diesen Bereichen aber weniger stabil aufgestellt ist, hat in der Folge auch mehr Probleme, mit Herausforderungen in der Entscheidungsfindung umzugehen. Damit betroffene nicht von individuellen Ressourcen abhängig sind, müssen dringend strukturelle Ressourcen gestärkt werden. Denn bisher schaffen letztere es nicht, Herausforderungen jeglicher Art ausreichend aufzufangen.


    Auf welche Ressourcen setzen Interviewte, die mit einer ungeplanten Schwangerschaft konfrontiert sind?

    Die interviewten Frauen fühlen sich handlungsfähig, wenn sie z.B. während der Entscheidung Unterstützung und Akzeptanz durch ihr Umfeld spüren. Ebenso wichtig kann das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und eigenes Handeln und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit sein. Darüber hinaus können sowohl das private Umfeld, als auch medizinisches Personal oder Schwangerschaftskonfliktberater*innen durch ihre Anerkennung der Entscheidung eine zentrale Ressource für Betroffene darstellen.

    Was sind Herausforderungen, denen Interviewte in der Situation einer ungeplanten Schwangerschaft begegnen?

    Die interviewten Frauen sehen eine Vielzahl an Herausforderungen, die sowohl in Zusammenhang mit der ungeplanten Schwangerschaft selbst als auch äußeren Strukturen stehen. Genannt wurde u.a. Unsicherheit und fehlende Informationen aufgrund der rechtlichen Situation des Schwangerschaftsabbruchs (illegal, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei) und Schwierigkeiten in der Kostenübernahme durch Krankenkassen. Ebenso herausfordernd empfinden einige Frauen die fehlende staatliche und gesellschaftliche Unterstützung von Familien als auch hohen gesellschaftlichen Druck durch Mutterschaftsnormen. Auf individueller Ebene fanden die Interviewten Gefühle von Schuld, Scham und Einsamkeit als herausfordernd.

Abgebildet ist ein Tortendiagramm mit vier verschiedenen Stücken in vier Farben.

So arbeiten wir.

Als Teil des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS e.V.) arbeiten wir mit sozialwissenschaftlichen Methoden. In diesem Bereich hat unser Team bereits außerhalb dieses Projektes praktische und theoretische Erfahrungen gesammelt.

Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir von wissenschaftlichem Arbeiten im Feld des Schwangerschaftsabbruchs sprechen? Für uns bedeutet Wissenschaftlichkeit:

  • Wir halten mit unserer Arbeit wissenschaftliche Standards ein. Dabei orientieren wir uns an den Grundsätzen des Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Das heißt zum Beispiel: Wir zeigen unsere Fachkenntnisse und Methoden eindeutig auf. Wir präsentieren Ergebnisse umfänglich und nicht ohne verfälschende Auslassungen und stellen sicher, dass diese öffentlich zugänglich sind. Ebenso machen wir unsere Finanzierungsquellen transparent und gewährleisten, dass die Interessen von Fördergeber*innen unsere Arbeit nicht verzerren.

    Gleichzeitig achten wir darauf, dass sowohl Teilnehmende in der von uns durchgeführten Forschung als auch Mitglieder der Dialogwerkstatt und unsere Leser*innen uns verstehen. Fachbegriffe erklären wir deshalb z.B. auf unsere Website im Glossar und an entsprechenden Stellen in unseren Veröffentlichungen.

    Thesen und Argumente bauen wir stringent aufeinander auf. Wenn wir uns auf andere Forschungsmeinungen beziehen, stellen wir diese in ihren Kontext: Wer sind die Autor*innen, wie schätzen wir deren Methodik ein, welchen Stellenwert hat der Beitrag im Forschungsfeld? 

Unsere Forschung ist nicht der Versuch, eindeutige oder vereinfachte Antworten in unserem Feld zu finden. Vielmehr setzen wir uns zum Ziel, die Komplexität des Themas in unserer Forschung zu Schwangerschaftsabbrüchen sichtbar zu machen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen.

  • Unsere Forschungsfragen und -herangehensweisen sind wohl überlegt. Gleichzeitig können auch wir nicht ausschließen, dass wir unser Vorgehen im Laufe des Projektes anpassen müssen. Unserer eigenen Arbeit stehen wir deshalb stets kritisch gegenüber und machen unsere Methoden und mögliche Anpassungen transparent.

  • Wissenschaftlich arbeiten heißt, immer eine neutrale Haltung einzunehmen – oder? Wir finden: Das ist weder realistisch noch sinnvoll. Auch als Wissenschaftlerinnen machen wir persönliche Erfahrungen, haben unterschiedliche Werte und Positionen. Diese reflektieren wir innerhalb des Teams und arbeiten daran, mögliche unbewusste Annahmen sichtbar zu machen. Auf dieser Basis gehen wir mit Positionen und Argumenten Anderer (Teilnehmender der Werkstatt, Forscher*innen etc.) möglichst wohlwollend und respektvoll um.