Gut beraten? Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch übt Kritik am Status Quo der Schwangerschafts-konfliktberatung und fordert sicheren und inklusiven Zugang.

Teilnehmende des Dialogexperiments debattieren Zweck und Grenzen der verpflichtenden Beratung im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs und zeichnen Zukunftsvisionen für alternative Beratungsangebote.

Frankfurt am Main/Berlin, 05.09.24. Nahezu alle in Deutschland gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche werden nach der „Beratungsregelung“ vorgenommen.[1] Demnach muss im frühen Stadium der Schwangerschaft eine Pflichtberatung wahrgenommen werden, wenn ein straffreier Abbruch nach § 218a StGB erfolgen soll. Doch welchen Zweck erfüllt diese Beratung in der Praxis und welche Defizite weist sie womöglich auf? Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch, bestehend aus 18 Teilnehmenden mit unterschiedlichen Meinungen und Erfahrungen zum Abbruch, resümiert: Um ungeplant Schwangere sowohl umfassend zu informieren als auch in einer eigenständigen Entscheidung zu unterstützen, muss Schwangerschaftskonfliktberatung künftig für Personengruppen mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen und aus verschiedenen Kulturkreisen zugänglich sein. Einzelne Argumentationen der Teilnehmenden sind im 3. Diskussionspapier versammelt.

Beratungspflicht – Schutz oder Bevormundung?
Anknüpfend an den Abschlussbericht der von der Bundesregierung einberufenen Expert*innen-Kommission, die unter anderem Möglichkeiten der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs prüfte, debattierte die Dialogwerkstatt die Sinnhaftigkeit einer Beratungspflicht. Laut Assistenzarzt Taleo Stüwe und den Leiterinnen von Selbsthilfegruppen J. Maier und Nele Blumthal* (Pseudonym) stigmatisiert und bevormundet die Beratungspflicht ungewollt schwangere Menschen: „Warum wird mir die Kompetenz abgesprochen, das zu entscheiden? Und warum muss man nicht zur Beratung, wenn man eine Schwangerschaft austragen will?“. Aus Perspektive der Lebensschutz-Aktivistin Sabina Scherer und einer Referentin von donum vitae übernimmt die Schwangerschaftskonfliktberatung hingegen einen wichtigen staatlichen Auftrag: Den Schutz der schwangeren Person und des „ungeborenen Lebens“.


Sicherstellen der Finanzierung qualitativ hochwertiger und inklusiver Beratung
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Einige Dialogwerkstatt-Teilnehmende befürchten, dass ein Wegefallen der Beratungsregelung in fehlende Finanzierung der Schwangerschafts(konflikt)-beratung und demnach unzureichende Unterstützung und Informationsweitergabe für Betroffene münden könnte. Gleichzeitig kritisieren Teilnehmende wie Cintia Ferreira von Space2Grow und Ayten Kılıçarslan (Sozialdienst muslimischer Frauen), dass auch aktuell kein gleicher Zugang für Ratsuchende bestehe: So würden migrantische Personen teils weder entsprechende Sprachmittlung noch kultursensible Beratung erhalten.

Ein weiteres Defizit sehen Gründerinnen von Selbsthilfegruppen darin, dass im begrenzten Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung eine Menge an Informationen, unter anderem zu verfügbaren Ärzt*innen und Unterstützungsmöglichkeiten, vermittelt werden müsse. In der Realität sei dies laut Erfahrungsberichten aus ihren Gruppen nicht immer der Fall und Betroffene könnten nicht immer fundierte Entscheidungen treffen.  

Zukunftsvisionen: Beratungsangebote für Erzeuger und Idee reproduktiver Gesundheitszentren.
Neben einem sicheren, inklusiven und diskriminierungsfreien Zugang zu Beratung forderten einige Dialogwerkstatt-Mitglieder auch, das Beratungsangebot (sofern der Situation angemessen) auf Erzeuger bzw. Väter auszuweiten. Als Alternative zu einer gesetzlich verankerten Pflichtberatung entstand auch die Idee „reproduktiver Gesundheitszentren“. In diesen könnte unter anderem medizinische und psychosoziale Expertise gebündelt und mehrsprachige Bildungsarbeit rund um Themen wie Körper und Gesundheit geleistet werden.

Grundlage der Diskussion war die wissenschaftliche Expertise „Psychosoziale Beratung im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen“ von Dr.in Christiane Bomert.

[1] Konkret 96%. Vgl. Destatis: Pressemitteilung Nr. 164 vom 24. April 2024: 2,2% mehr Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2023. Zuletzt aufgerufen am 02.09.24.


Die Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch ist ein Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., das bis Oktober 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.

PDF-Version der Pressemitteilung.

3. DiskussionspapierGut beraten? Was in der Schwangerschaftskonfliktberatung möglich ist – und wo sie an ihre Grenzen stößt“
(Judith Dubiski, Alina Jung, Theresa Köchl, Dr. Alexa Nossek)

3. Expertise im Auftrag der Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch „Psychosoziale Beratung im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen. Empirische Erkenntnisse zur Struktur, Praxis und Bedeutung der Beratung nach § 219 StGB“ (Dr.in Christiane Bomert)

Fragen und Antworten zum Projekt.

 

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Einige Teilnehmende der Dialogwerkstatt stehen je nach Anlass für Interviews oder Gespräche zu ihren spezifischen Themenfeldern für Medien als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Eine Übersicht der Teilnehmenden finden Sie hier: www.dialogwerkstatt-schwangerschaftsabbruch.de/teilnehmende

Bei Interesse kontaktieren Sie uns unter: dialogwerkstatt@iss-ffm.de

Theresa Köchl
Öffentlichkeitsarbeit und Krisenkommunikation

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Judith Dubiski
Projektleitung

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60391 Frankfurt a. M.

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Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
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Dialogwerkstatt problematisiert strukturellen Rassismus in der Beratung und Versorgung ungewollt Schwangerer

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